Vor rund zwei Wochen hat Apple die neue Apple Watch Series 6 angekündigt – und treibt es damit bunter denn je. Die Series 6 bringt ein paar neue Sensoren und viele neue Farben mit sich, nach der Veröffentlichung diese Woche habe ich sie etwas näher ausprobiert.
Wobei „nur“ ausprobiert hier nicht stimmt. Selten fiel es mir so schwer, mich zu einem Artikel wie diesem aufzuraffen – da viele Gedanken im Hintergrund mitspielen. Auch diese möchte ich in diesem Artikel ein wenig mit euch teilen, wir bewegen uns hier also zwischen einem kleinen Testbericht und einem Kommentar. Die Apple Watch Series 6 ist mehr als nur blanke Hardware, am Ende ist sie ein Statement zu Apple und dessen Strategie an sich. Das betrifft freilich nicht nur das neue Flaggschiff, vielmehr sind auch strategische Entscheidungen rund um das ganze Line-up – damit meine ich nicht nur die Apple Watch SE – durchaus interessant.
Ich habe schon lange mit diesem Schritt gerechnet, doch dieses Jahr eigentlich nicht. Apple bietet die neue Apple Watch Series 6 in mehr Variationen an denn je. Neben den Sondereditionen von Hermès und Nike gibt es noch die Apple Watch Edition mit Titangehäuse, die Variante aus Edelstahl und wie immer auch die Variante aus Aluminium. Die teureren Modelle setzen auf Saphirglas, auch das war immer so. Besonders überraschend waren die beiden neuen Gehäusefarben der Apple Watch Aluminium: Rot und Blau. Während eine (PRODUCT)RED-Variante schon lange in den Gerüchten war, kam die blaue erst kurz vor der Veröffentlichung ans Tageslicht.
Während der Keynote war mir sofort klar: Es wird die blaue Uhr. Die Klarheit hielt etwa eine Minute, bis Apple die (PRODUCT)RED-Variante ebenfalls zeigte. Rot ist meine Lieblingsfarbe, noch dazu kaufe ich alle (PRODUCT)RED-Produkte von Apple – dementsprechend wurde es also dann doch diese Farbgebung bei mir.
Zur Verarbeitung lässt sich ansonsten wenig sagen. Sie ist wie immer auf einem Top-Niveau, abgesehen von der neuen Farbe stelle ich aber keine Änderungen fest.
Apple hat uns über die Jahre eines gelehrt: Rot ist nicht rot. Speziell für dieses Modell gesprochen handelt es sich um das klassische Aluminiumrahmen-Rot von Apple. Der Farbton entspricht genau dem Rahmen des iPhone SE, dieses ist etwas dunkler als das „Glas-Rot“, das wir von Apple kennen. Gefühlt schimmert das Gehäuse etwas mehr.
Da gerade der rote Farbton je Material anders ausfällt, ergibt sich ein Problem: Connector und Gehäuse haben immer einen klar anderen Farbton, selbst wenn beide Varianten rot sind. Ob das störend ist? Nein, nur auffällig.
Auch hier gibt es keine Neuigkeiten. Gemeinsam mit dem iPhone ist die Uhr schnell eingerichtet, gerade beim Setup wird der etwas schnellere Prozessor spürbar: Der Prozess ging deutlich schneller voran als auf meiner Series 4, die ich am selben Tag ebenfalls neu aufgesetzt habe.
In Sachen Handhabung fällt ansonsten nur ein Feature etwas mehr im wahrsten Sinne ins Auge: Ja, das Always-On-Display ist spürbar heller. Ein sinnvoller Ausbau der Funktion, die nach wie vor nur semi-praktisch ist. Dazu aber später.
Hinzu kommen Änderungen hinsichtlich des Akkus, Apple verspricht eine längere Laufzeit. In der Praxis soll es für eine Stunde mehr Musik-Streaming oder GPS-Aufzeichnung beim Sport reichen, das kann ich insofern auch bestätigen. Das Laden geht ebenfalls etwas schneller, in der täglichen Benutzung fällt mir das aber nicht auf.
In Sachen Sensoren fällt sofort der neue Höhenmesser auf, er misst konstant und ist deutlich genauer. Ich bin Österreicher – es mag wirken, als wäre diese Funktion im Land der Berge sehr praktisch. Als Flachländler in Wien ist mir dies aber herzlich egal. Ich weiß nun genau, wie hoch meine Dachgeschosswohnung liegt und kann beim Stufensteigen zusehen, wie hoch ich gerade tatsächlich bin – nett, aber für mich sinnlos. Für Bergsteiger ist es sicher ein interessantes Feature.
Dazu kommt außerdem die Messung der Sauerstoffsättigung. App starten, 15 Sekunden warten und schon erhalten wir einen Wert von 1–100, der in der Regel über 95 liegen sollte. Gemessen wird per Lichtsensor, ähnlich wie der Puls, helleres Blut führt mehr Sauerstoff. Zudem misst die Uhr den Wert auch permanent immer wieder und protokolliert diesen in Apple Health.
Lange habe ich mit meinem ersten Zwischenfazit gewartet: Die Apple Watch Series 6 ist ein Schritt nach vorne, aus meiner Sicht aber kein ganzer. Apple hatte hier viele Chancen, hat sich jedoch konsequent dazu entschieden, diese nicht in Angriff zu nehmen.
Mein Hauptkritikpunkt ist das Always-On-Display, Apple hat diese Funktion nicht für Drittanbieter geöffnet. Ich benötige sie vor allem für eins: den Einsatz beim Sport. Drittanbieter können das Display jedoch nach wie vor nicht nutzen – ein herber Einschnitt, den ich nicht verstehe. Mir ist klar, dass diese Funktion spezielle Regeln benötigt, das ist auf dieser Hardware aber auch nichts Neues. Entwickler sind es gewohnt, dass kleine Geräte mit vielen Auflagen verbunden sind.
Der nächste Kritikpunkt ist die Messung der Sauerstoffsättigung. Apple hat den Ruf anheim, Dinge immer später als andere zu bringen – dann aber besser. Hier stimmt diesmal eindeutig nur der erste Teil. Viele Tracker anderer Hersteller messen den Blutsauerstoff, einige Hersteller auch in Hardware, die deutlich günstiger ist. Das Problem ist, dass der Wert an sich relativ wertlos ist. Fällt er unter 90, hat der Nutzer erhebliche Problem – merkt diesen Zustand aber auch selbst. Es fehlt simpel die Anwendung für diesen neuen Messwert.
Mehr denn je zeigt sich mir damit eines: Die Apple Watch ist ein Lifestyle-Produkt und nicht mehr, egal wie sehr es Apple in den letzten Jahren auch versuchte. Während die EKG-Messung noch validiert und mit Studien hinterlegt wurde, ist dies bei der Sauerstoffsättigung anders. Apple verspielt hier die Chance, es „besser als die Konkurrenz“ zu machen. Vielmehr erhalten wir einen Wert, der nur im Wellness-Bereich relevant ist. Dies betont Apple auch selbst: Es handelt sich um keine korrekte, medizinische Messung.
Andere Konzerne, Withings zum Beispiel, gehen hier weiter. So versucht der Konzern anhand der Sauerstoffsättigung Schlafapnoe zu erkennen. Apple hat hier keine passende Studie im Angebot – das hätte ich mir bei der Vorstellung der neuen Funktion aber erwartet.
Ja, bei der Vorstellung schwang immer wieder das Thema „Corona“ mit, auch wenn Apple es so genau nicht sagte. Doch wo ist die Studie, die Corona und Sauerstoffsättigung in Zusammenhang bringt?
Damit komme ich bei der Apple Watch SE an – die ehrlichste Apple Watch, die wir – unter diesem letzten Gesichtspunkt – bisher gesehen haben. Apple verzichtet auf den Sauerstoffsensor, auf die EKG-Messung und auch auf das Always-On-Display. Damit bekommen wir eine klassische Smartwatch, die in der Lage ist, Sport aufzuzeichnen, ein Großteil des Gesundheits-Schnick-Schnack (ja, diese Bezeichnung haben sich die Funktionen aus meiner Sicht verdient) bleibt außen vor.
Mit der Uhr sollen offenbar neue Kundengruppen angesprochen werden, denen die Apple Watch bisher zu teuer war – oder Kunden, die dieses Jahr weniger Geld zur Verfügung haben. Zugegebenermaßen werden das aktuell einige Kunden sein, leider.
Die Series 3 blieb ebenfalls im Programm, sie ist nur ein bisschen günstiger als die Apple Watch SE. Der Grund ist mir eher schleierhaft, ich vermute Kinder oder Personengruppen, bei denen Dritte die Uhr kaufen. Die Entscheidung, das Modell im Angebot zu belassen, finde ich persönlich etwas frech. Altes Design hin oder her – mir geht es vielmehr um alte Technik. Drei Jahre für eine Apple Watch sind schon eine verdammt lange Zeit. Es bleibt fraglich, wie lange diese Uhr noch Updates bekommt.
Die Apple Watch Series 6 konnte mich im Test vollends überzeugen – das hat einige Gründe. Einerseits schätze ich es, endlich eine LTE-Uhr erworben zu haben. Als Österreicher war dies bisher etwas schwer, LTE wird erst seit 1,5 Jahren unterstützt, wir hatten das Thema mehrmals im Podcast. Andererseits schätze ich das Always On Display. Aus dem Zorn heraus, keine Titan-Uhr zu bekommen (ja, wieder ein österreichisches Problem), habe ich letztes Jahr ausgesetzt. Was davon spricht für die Series 6? Konkret eigentlich nichts – außer, dass mir das rote Gehäuse wirklich sehr gut gefällt!
Auch wenn der Testbericht bis hierher eher wenig begeistert klingen mag: Ich komme von einem ganz anderen Punkt. Ich bin seit vielen Jahren der Meinung, dass Apple die mit Abstand beste Smartwatch baut – und der Abstand wird jedes Jahr nur größer. Ich habe viele Android-Uhren, auch hier, getestet und setze im sportlichen Umfeld nach wie vor auf die Produkte von Garmin.
Wenn ich meine Garmin Fenix 6 Pro mit der Apple Watch vergleiche, fällt mir vor allem eines auf: Die Messergebnisse meiner Apple Watch nähern sich denen von Garmin in Sachen Genauigkeit und Schnelligkeit immer mehr an und das zu einem deutlich günstigeren Preis. Dank LTE ist die Uhr von Apple wesentlich praktischer und auch besser für Notfälle gerüstet. Erstmalig werde ich überlegen, meine Sportuhr durch die Uhr von Apple zu ersetzen, wenn die Akkulaufzeit reicht. Das ist der einzige Punkt, bei dem ich Garmin noch vorne sehe – kein Wunder, da die Uhr sonst im Smartwatch-Bereich (völlig) versagt.
Sehr oft bekommen wir bei Apfeltalk die Frage, ob es denn neue Hardware braucht. Die Antwort ist hier sehr einfach – und dieselbe wie immer: Es kommt darauf an. Ein Gedanke, den ich mehr denn je im Zusammenhang mit der Apple Watch habe: Fast niemand braucht eine Apple Watch. Sie ist ein schönes Spielzeug mit vielen Funktionen, wirklich lebenswichtig ist das Gerät aber nur für wenige Anwendergruppen. Die Series 6 ist das schönste und individuellste Spielzeug bisher. Umsteigen ist, aus meiner Sicht, ab der Series 4 durchaus sinnvoll. Fans, die sowieso jedes Jahr eine neue Uhr kaufen, werden sich diese Frage ohnehin nicht stellen.
Die Apple Watch Series 6 wird ab 418 Euro bei Apple direkt angeboten, je nach Konfiguration und Armband kann es schnell teurer werden. Die neuen Solo Loop Armbänder kommen so auf knapp 50 Euro, die geflochtenen sogar auf fast 100 Euro. Die neue Apple Watch war am Freitag auch bei Apfeltalk Live! unser Thema.
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