Die Gerüchte haben sich bewahrheitet. Nachdem Apple mit dem iPhone 5S den Fingerabruck zum relevanten Sicherheitsmerkmal erhob, entschied sich der Konzern mit dem iPhone X jetzt dazu, den Sensor wieder zu streichen. Dabei gibt es einige Gründe, die für Touch ID sprechen würden.
Der Verzicht auf Touch ID geschah ohne Not. Die Technologie hatte sich in den letzten Jahren bewährt. Dank Secure Enclave liegt der eigene Fingerabdruck sicher auf dem Gerät. Seit Touch ID Generation zwei funktioniert der Sensor auch äußerst schnell. Sogar so schnell, dass viele Nutzer anfangs Probleme damit hatten, ihr Handy zu aktivieren ohne es zu entsperren. Durch alternative Varianten das iOS Gerät zu aktivieren und Raise to Wake fiel aber auch dieses Problem weg.
Das alte Credo „Form follows Function“ trifft beim neuen iPhone X nicht mehr zu. Um das rahmenlose Display ohne platzraubenden Homebutton zu ermöglichen, verzichtete Apple letztlich auf den Sensor. Wie die neue Lösung funktioniert, wird sich erst in den nächsten Wochen zeigen, spätestens nach der Auslieferung des iPhone X Anfang November. So oder so, kompromisslos ist Face ID nicht.
1. Sicherheit und öffentliche Verfügbarkeit
Das schwächste Argument vorweg: Samsung setzt bereits seit geraumer Zeit ähnliche Features in den eigenen Galaxy Smartphones ein. Diese Lösungen erwiesen sich als unsicher, wie der CCC bewies. Zwar wurde auch Touch ID vom CCC ausgehebelt, der Aufwand dafür war allerdings bei Weitem höher.
Natürlich: Solche Argumente und eine ähnliche Skepsis gab es auch bei der Einführung des Fingerabdrucksensors. Wie immer galt das alte Apple-Klischee: Der Konzern war hier nicht der erste, aber die Firma, die es entsprechend lösen konnte und marktfähig machte. Grund dafür ist neue Technik und die Secure Enclave, beides würde auch auf Face ID zutreffen.
Dennoch missfällt mir die Verfügbarkeit meines Sicherheitsmerkmals. Ein Gesicht ist kein Sicherheitsmerkmal. In der Regel sind Aufnahmen des eigenen Gesichts mit wenig Aufwand online verfügbar. Zwar hinterlasse ich auch meine Fingerabdrücke an diversen Stellen. Diese abzunehmen ist aber aufwändig und die Ergebnisse sind schon gar nicht einfach im Internet zu finden. Mittels heutiger Technik nutzt zwar auch kein Foto meines Gesichts, um Gesichtsscanner zu deaktivieren – doch wer weiß, was die Zukunft hier bringt. Gerade in diesem Bereich schreitet die Technologie, auch aufgrund von Apple, immer weiter voran. In Sachen Zukunftssicherheit würde ich mich mit einem Fingerabdruck als Sicherungsmerkmal deutlich wohler fühlen als bei meinem Gesicht
2. Der böse Zwilling
Apple selbst ging, mit eben diesen Worten, auf das Problem ähnlich sehender Mitmenschen ein. Dieses Problem konnte bisher nicht gelöst werden. Die generelle Sicherheit wurde durch Face ID erhöht. Bei Touch ID soll aus einer Stichmenge von 50.000 Testern ein beliebiger Abdruck funktionieren, bei Face ID soll diese Chance auf eine Million erhöht worden sein. Beeindruckende Zahlen, die dem Nutzer in der Realität aber nicht mehr Sicherheit geben. Die Chance, dass sich optisch mir ähnlich sehende Menschen in meinem Umfeld aufhalten – und vielleicht auch mein Smartphone in die Hände nehmen – liegt deutlich höher. Damit sind diese Zahlen zwar nette Theorien, der Fall des bösen Zwillings, oder eines ähnlich sehenden Familienmitglieds, ist in Realität jedoch deutlich höher. Damit liegt die wahre Fehlfunktion tatsächlich näher als zuvor bei Touch ID.
3. Zwang zum Entsperren
Ein immer häufigeres Thema ist der Zwang zum Entsperren seines Smartphones. Verschärfte Sicherheitsbedingungen halten Behörden teilweise dazu an, die Inhalte des Smartphones zum Beispiel bei der Einreise in andere Länder zu überprüfen. Trotz allem gibt es einige Schlupflöcher, einige davon bedient Apple sogar softwareseitig. So ist es mittlerweile möglich, die Touch ID Eingabe kurzzeitig völlig zu deaktivieren.
Es bedeutet einen erheblichen Eingriff, den Finger eines Nutzers gegen seinen Willen auf das Smartphone aufzulegen. Face ID macht es hier deutlich einfacher. Das Gerät kann dem Besitzer, ohne es dabei aus der Hand geben zu müssen, simpel vors Gesicht gehalten werden. Zwar müssen die Augen zur Entsperrung geöffnet sein, bei einem überraschenden Eingriff wird dies aber vermutlich der Fall sein. Insofern ist Face ID in dieser Hinsicht deutlich unsicherer als Touch ID.
4. Mehrere Finger (mehrerer) Nutzer
Via Touch ID konnten mehrere Finger auf einem Gerät registriert werden. Bei Face ID hingegen nur ein Gesicht. Dank der postulierten hohen Erkennungsrate von Face ID erscheint es auf den ersten Blick unerheblich, ob mehrere Sicherheitsmerkmale angelernt werden können oder nicht. Für Touch ID benötigte ich persönlich mindestens zwei Finger – je einen je Hand – da es auch vorkommt, dass ich mein Handy nicht immer mit der gleichen Hand bediene. Bei Face ID fällt dieses Anwendungsszenario weg.
Je nach eigenem Sicherheitsverständnis und Vertrauen in seine Umwelt ist es aber möglich, so auch anderen Leuten Zugriff auf sein Gerät zu geben. Face ID hebelt diese Möglichkeit vollkommen aus. Hier muss auf den Code ausgewichen werden – der dann einerseits an eine andere Person weitergegeben werden muss und sich diese Person andererseits den Code dann auch merken muss.
5. Bedienung ohne Sichtkontakt
Face ID soll so rasend schnell funktionieren, dass quasi keine Verzögerung durch den Einsatz der neuen Sicherheitstechnik entsteht. Diese entstand aber auch bei Touch ID nicht. Ich entsperre mein Telefon bereits beim Herausholen aus der Tasche, während ich das Handy noch vor mein Gesicht führe. Dank des haptisch tastbaren Sensors lege ich unmittelbar, blind, den Finger auf mein Gerät.
Zudem ist auch noch nicht klar, aus welchen Betrachtungswinkeln Face ID tatsächlich funktioniert. Mein Handy liegt oft plan auf dem Tisch neben mir. Eine Entsperrung via Touch ID war bisher ohne Probleme möglich, Face ID muss sich hier noch beweisen. In den Demos wurde das Gerät immer unmittelbar vor das Gesicht gehalten.
Touch ID und die Zukunft – im iPhone, iPad und Mac
Bei all den Vorteilen von Touch ID wird dennoch die neue Technik die Zukunft werden. Sie ist kleiner, grundsätzlich genauer und damit sicherer und ermöglicht weitere Anwendungsmöglichkeiten. Das erste “Abfallprodukt” wurde bereits im Laufe der Keynote demonstriert: Animoji. Und weitere solcher Anwendungen, die mit der Kamera mit Tiefenwarnehmung realisiert werden, sind nur eine Frage der Zeit.
Interessant wird die Zukunft im Hinblick auf Notebooks. Dort führte Apple erst letztes Jahr Touch ID ein. Ob, und wenn ja wann, Face ID dort zum Einsatz kommen wird, werden neue MacBook (Pro) Generationen noch zeigen müssen.